Was ist biografisches Arbeiten?
Biografisches Arbeiten und Lernen hat längst seinen Platz in der Politischen Bildung gefunden. Insbesondere im Zusammenhang von Vielfalt und Inklusion kann es ein wichtiger Baustein sein. Was können biografische Ansätze und Methoden und was nicht?
Inhaltsverzeichnis:
Was ist Biografiearbeit und wofür ist sie nützlich?
Biografiearbeit ist ursprünglich eine Methode der Sozialen Arbeit zur persönlichen Krisenbewältigung. In der politischen Bildung können biografische Ansätze und biografisches Lernen dazu beitragen, die Auseinandersetzung mit Gesellschaft und Zeitgeschichte zu fördern und Lebensgeschichten vor dem Hintergrund der jeweiligen Zeitgeschichte zu sehen, zu verstehen und zu verarbeiten.
Die eigene Lebenserfahrung wird von den Teilnehmenden aktiv in den Lernprozess eingebracht, um davon ausgehend gesellschaftliche Strukturen zu reflektieren. So können neue Perspektiven auf das eigene Leben aber auch auf gesellschaftlich dominante Erzählungen entstehen. Biografische Ansätze können darüber hinaus dazu ermuntern, das eigene Leben selbstbestimmt zu gestalten, Lebenserfahrung als Ressource zu entdecken sowie sensibel für Unterschiede und Gemeinsamkeiten zu werden
Ziele von Biografiearbeit im Rahmen politischer Bildung können sein:
- Eine Erzählung für das eigene Leben finden
- Eigene Haltungen und gesellschaftliche Prägungen reflektieren
- Lebensgeschichten Raum und Anerkennung geben und Erfahrungswissen (gesellschaftlich) einordnen und reflektieren
- Gesellschaftliche Selbstwirksamkeit erfahrbar machen und Selbstbestimmung fördern
Biografiearbeit in der Arbeit mit Identitäten, Diversität und Diskriminierung
Biografiearbeit bedeutet die Auseinandersetzung mit der eigenen Identität in Zusammenspiel mit anderen Identitäten: Ich – Du – Wir – Ihr. Diese Erkenntnis – so banal sie auch erscheint – heißt auch: Biografiearbeit kann hilfreich sein, um sich mit dem eigenen Standpunkt in der Gesellschaft, eigenen Privilegien oder Diskriminierungserfahrungen zu beschäftigen. Denn individuelle Erfahrungen sind immer verknüpft mit kollektiven Erfahrungen.
Wenn sich benachteiligte oder marginalisierte Menschen gegenseitig stärken, wird dies auch Empowerment genannt. Biografiearbeit kann durch den unterstützenden Charakter ein Element von Empowerment sein.
So gelingt biografisches Arbeiten
Biografiearbeit benötigt wertschätzende Kommunikation sowie ein balanciertes Verhältnis von Nähe und Distanz, denn: Sich alleine oder auch mit anderen Personen mit persönlichen Stationen und Interpretationen der eigenen Biografie und auch anderen Biografien zu beschäftigen, kann sehr herausfordernd sein. Es können Erinnerungen an schmerzhafte Lebensumstände, belastende oder schambesetze Ereignisse geweckt werden. Dies muss von den Begleiter:innen und den Zuhörenden gut aufgefangen werden. Ebenso ist ein wertschätzender Umgang mit den daraus folgenden Emotionen elementar.
Zwei wichtiger Marker sind: Biografiearbeit benötigt Zeit und setzt ein Vertrauensverhältnis voraus! Und: Biografiearbeit kann zwar therapeutische Effekte haben, ist aber keine Therapie und ersetzt auch keine Therapie!
Biografiearbeit kann in Einzelgesprächen, Klein- oder auch Großgruppen durchgeführt werden und sollte eine klare Zielgruppe und Themensetzung haben. Je nach Rahmenbedingungen können vielfältige Methoden zum Einsatz kommen. Diese unterstützen dabei, den Blick auf das eigene Leben und Prägungen zu schärfen, Erinnerungen und eigene Werte zu reflektieren, eigene Ressourcen bewusst zu machen und so zu einem besseren Selbstverständnis zu gelangen. Hier finden Sie zwei Beispiele aus der Methodensammlung des Projekts Erzählt & Zugehört:
Biografiearbeit im Projekt Erzählt & Zugehört
Das innerhalb des MBT entstandene Projekt „Erzählt & Zugehört – Lebensgeschichten im Dialog“ hat über zwei Jahre hinweg Menschen in Marzahn-Hellersdorf begleitet, die oder deren Eltern in der DDR gelebt haben. Im Projekt ging es um die Anerkennung ostdeutscher Lebensgeschichten, die selten Aufmerksamkeit bekommen und häufig sogar abgewertet werden.
Auf der Projektwebsite können Sie mehr über das Projekt erfahren. Dort finden Sie unter anderem weitere Übungsmaterialien und einen biografischen Online-Kurs, zu dem Sie sich weiterhin kostenfrei anmelden können.
Außerdem können Sie in der Podcastfolge vertieft in die Biografiearbeit einsteigen. Aylin Karadeniz und Claire Horst erzählen darin von ihrer Zusammenarbeit mit Menschen in Marzahn-Hellersdorf und was das Projekt mit Demokratieförderung und Partizipation zu tun hat.
Gemeinsam eine Gesellschaft der Vielen gestalten
Sie möchten gerne mehr über dieses Thema erfahren? Wir bieten für gemeinnützige Organisationen kostenlose Beratungen, Workshops, Fortbildungen und mehr zur Thematik. Schreiben Sie uns bei Interesse gern.