Sprechfähig statt sprachlos – Umgang mit demokratiefeindlichen Äußerungen
Diskriminierende und demokratiefeindliche Äußerungen von Mitmenschen – ob im privaten oder beruflichen Kontext – machen oft sprachlos. Wie kann ich im Gespräch bleiben und gleichzeitig auf demokratie- und menschenverachtende Aussagen souverän reagieren? Impulse zum Umgang mit demokratiefeindlichen Äußerungen liefern die Gesprächsanker, die das MBT Berlin zusammen mit dem Landesjugendring Berlin zusammengestellt hat.
Inhaltsverzeichnis:
Was steht hinter der Idee des Gesprächsankers?
In der Beratungspraxis des MBT Berlin berichten Personen regelmäßig von Situationen, in denen sie mit demokratie- und menschenverachtenden Aussagen konfrontiert sind. Dies passiert überall, auf öffentlichen Veranstaltungen, im Kollegium einer Schule oder aber im Kontext sozialer Arbeit mit unterschiedlichen Klient:innen.
Die Idee hinter den Gesprächsankern rührt aus der Erkenntnis, dass sich der Fokus von „Argumentationstrainings“ hin zu Verhaltens- und Gesprächsführung verschoben hat. Aus guten Gründen: Populistinnen und Demokratieverächter interessieren sich häufig wenig für Fakten. Ihre Ansichten beruhen auf Stimmungen, Gefühlen und subjektiven Wahrnehmungen. Denen ist auch mit guten Argumenten oft nur schwer beizukommen. Die Erfahrung zeigt, dass es kein Patentrezept im Umgang mit diskriminierenden Aussagen gibt. Jede Person und jede Situation sind anders und auch der Kontext, die Rolle und die Beziehung zum Gegenüber sind wichtig.
Im Zuge dieser Erkenntnis wurden hilfreiche Strategien gesammelt, um in solchen Gesprächssituationen dennoch souverän agieren zu können. Wir haben die meisten „unserer“ Anker also gar nicht neu erfunden, sondern aus der Praxis für die Praxis zusammengetragen, als Gedächtnisstütze und zur Erinnerung. Die Techniken des Gesprächsankers können individuell genutzt werden und sollen aufzeigen, wie man:
- im Gespräch bleibt
- seinem Gegenüber den Wind aus den Segeln nimmt
- und selbst das Steuer in der Hand behält
Was sind die zentralen Gesprächsanker im Umgang mit demokratie- und menschenfeindlichen Äußerungen?
Zunächst einmal kann es auf der Meta-Ebene helfen, Ziele, Rolle und Kontext für sich zu klären. Was für ein Ziel verfolge ich im Gespräch und unter welchen Bedingungen kann ich dieses erreichen? Wo liegen meine Grenzen? Was ist für mich verhandelbar, was nicht? In welcher Rolle führe ich den Dialog? Wer ist mein Gegenüber? Wie ist der Kontext bzw. die Situation?
Aufmerksam zuhören, Botschaften entschlüsseln & Nachfragen: Ratsam ist, vor jeder Antwort erst einmal genau hinzuhören, um die Botschaften des Gegenübers so wie gut möglich zu verstehen. Durch gezieltes und sachliches Nachfragen bringen Sie Ihr Gegenüber in die Position sich zu erklären, Argumente einzubringen oder Informationen zu liefern.
Ich-Botschaften: Ich-Botschaften in Form des Dreiklangs Wahrnehmung-Wirkung-Wunsch sind ein nützliches kommunikatives Mittel, um Feedback an Ihre:n Gesprächspartner:in wertschätzend zu äußern. Teilen Sie erst Ihre Wahrnehmung mit, beschreiben Sie dann was dies bei Ihnen auslöst, bevor Sie dann Ihr Bedürfnis für den Fortgang des Gesprächs äußern.
Haltung zeigen: In einem strittigen Gespräch Haltung zu zeigen, heißt mit den eigenen Werten und Überzeugungen für die eigene Position einzutreten. Wenn Sie im Gespräch Ihre Haltung deutlich machen, dann geben Sie dem Gesagten ein zusätzliches Gewicht. Tiefe Überzeugungen und Werte treffen dann aufeinander.
Situation verlassen: In der Regel ist der Gesprächsabbruch die letzte aller Handlungsmöglichkeiten. Ein solches Handeln ist aber erst dann eine Strategie, wenn Sie dies aus guten Gründen tun: etwa wenn sich sonst gegenseitiges Unverständnis der Gesprächsparteien erhöhen würde, ein konstruktives Gespräch nicht mehr möglich ist oder die Grenze des Sagbaren überschritten ist.
Welche Strategien noch nützlich sind:
- Beim Thema bleiben, um der Parolenhopping-Strategie etwas entgegenzusetzen
- Unterstützung suchen, um andere Stimmen sichtbar zu machen oder Hilfe zu bekommen
- Gemeinsame Werte betonen, um den Fokus auf das Verbindende statt auf das Trennende zu lenken
- Humor, um ein Hochkochen von Emotionen zu vermeiden (aber Vorsicht: Der Einsatz von Humor sollte vorrangig von der Beziehung abhängig gemacht werden)
- Das „Die“ auflösen, um Pauschalisierungen vorzubeugen und Vorurteilen entgegenzuwirken
- Widersprüche aufdecken, um Argumentationslogiken kritisch zu hinterfragen
- Eigene Erfahrungen und Hintergrundwissen einbringen, um einen argumentativen Gegenpol zu erzeugen und andere Perspektiven einzubringen
In Form eines Plakats haben wir diese Gesprächsanker visualisiert. Das Plakat kann man auch in leerer Form bestellen, um es selbst mit eigenen Strategien zu befüllen.
Welche Methoden eignen sich, um den Umgang mit demokratiefeindlichen und diskriminierenden Aussagen einzuüben?
Auf individueller Ebene kann der Ansatz der Tiny Habits (nach BJ Fogg) eine hilfreiche Stütze zu sein. Der Ansatz besagt, dass das Verändern von Gewohnheiten oder Verhaltensmustern nachhaltiger und wirksamer ist, wenn sie in kleinen Schritten angegangen werden. Wer also bisher aufgrund von Verunsicherung oder dem Wunsch, nicht anecken zu wollen, strittige Gespräche gemieden hat, kann versuchen, für sich erreichbare Gesprächsziele zu formulieren, um somit seinen „Dialog-Muskel“ zu trainieren.
Auf der Ebene von Gruppen oder Teams können Strategien zum Umgang mit demokratiefeindlichen und diskriminierenden Äußerungen mithilfe verschiedener Methoden eingeübt werden. In unseren Workshops nutzen wir dafür gerne den Positionskompass, die Kontext- und Rollenanalyse oder klassisch das Rollenspiel.
Wenn Sie in der Rolle sind, eine größere Veranstaltung oder ein Meeting zu leiten, ist es ratsam mit der Gruppe zu Beginn Vereinbarungen zur Diskussionskultur zu treffen, insbesondere wenn sich die Gruppe noch nicht kennt. Solche Vereinbarungen können z.B. sein: respektvoller und wertschätzender Umgang miteinander, nicht-diskriminierende Ausdrucksweise, ausreden lassen oder sachlich bleiben.
Die Gesprächsanker können natürlich nicht alle Fragen zum Umgang mit demokratiefeindlichen Äußerungen und Diskriminierungen klären. Insbesondere für Organisationen oder Teams stellen sich andere oder weitere Fragen. Hier könnten der Austausch über verbindende Werte, eine gemeinsame Teamhaltung oder auch eine Leitbildentwicklung hilfreich sein. Falls Sie dazu Beratungsbedarf haben, sprechen Sie uns auch zu diesen Themen gerne an.
Gemeinsam eine Gesellschaft der Vielen gestalten
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